Mit einem weißen Umhang, Stiefeln und dem Zauberbuch Koraktor tritt er auf. Seit 25 Jahren verkörpert Wolfgang Kraus, ein Architekt aus Groß Särchen, die sorbische Sagenfigur Krabat. Der 71-Jährige ist damit zu einem Botschafter der Oberlausitz geworden. Über 2.000 Mal hat er bereits in die Rolle des guten Zauberers geschlüpft, bei Dorffesten, Krabat-Festen, Touristik-Messen, Schul-Führungen und vielen anderen Gelegenheiten. Mit dem TAGEBLATT sprach er über seine Inspiration, seine Erfahrungen und seine Zukunftsvisionen als Oberlausitzer in seinem 30. Jahr in dieser Region.

Herr Kraus, wie haben Sie die Figur des Krabat für sich entdeckt?

Das geht weit zurück bis in meine Schulzeit. Ich war schon immer ein begeisterter Leser und gehörte zur Jungschar unserer katholischen Pfarrgemeinde St. Josef in Menden im Sauerland. Nach dem sonntäglichen Gottesdienst hatten wir immer eine Stunde Zeit, um in der Pfarrbücherei zu lesen und Bücher auszuleihen. Dort las ich auch Bücher von Ottfried Preußler, wie „Räuber Hotzenplotz“, „Die kleine Hexe“ und „Der starke Wanja“. Irgendwann stieß ich auf eine Geschichte über Raben und einen Zauberer. Damals konnte ich das nicht richtig einordnen. Erst über 40 Jahre später wurde mir klar: Das ist die Geschichte von „Krabat“.

 

Sie sind als freiberuflicher Architekt viel herumgekommen. Seit 1996 leben Sie in Groß Särchen. Wie sind Sie dort auf Krabat gestoßen?

Ich kam in die Lausitz, nach Groß Särchen, durch meine Frau Eva-Maria Mrosk. Dort war ich 1999 Mitbegründer des Krabat Dorfclubs und Heimatvereins. Im selben Jahr war ich auch Mit-Initiator der Feierlichkeiten zum „625-jährigen Bestehen von Groß Särchen“. Wir saßen damals im Gasthof „Zum Schwan“ zusammen und planten die Veranstaltungen. Die Vorbereitungszeit war knapp. Deshalb entschieden wir uns für eine große Feier zum „626-jährigen Bestehen“ im Jahr 2000. Im Jahr zuvor, 1999, gab es nur eine kleine Feier. Der Kantor Johannes Leue suchte für sein Musical „Der Zauber des Guten“ Darsteller. Auf Wunsch meiner Stieftochter Cathy beteiligte ich mich und bekam die Rolle des alten Krabat. Die erste Aufführung fand in einem Altenpflegeheim in Hoyerswerda statt und wurde sehr gut aufgenommen.

 

Was hat Sie an der Figur Krabat fasziniert und begeistert?

Es war der Zauber des Guten. Seine Ausstrahlung. Seine Menschenliebe und Güte. Seine Weltoffenheit. Krabat war ein Aufklärer und ein Gemeinschaftsstifter. Ich wusste, dass Groß Särchen von 1691 bis 1704 die Heimat des kroatischen Obristen Johann von Schadowitz war. Was ich erst später durch den Familiengeschichtsforscher Hans-Jürgen Schröter aus Wittichenau erfuhr: Unser 1999 erworbenes Grundstück in Groß Särchen lag tatsächlich genau auf dem ehemaligen Vorwerk von Johann von Schadowitz. Das war für mich eine faszinierende und aufwühlende Entdeckung…

 

Wie sind Sie dieser Geschichte nähergekommen?

Ich begann sofort mit dem Sammeln von Dokumenten, als das Musical aufgeführt wurde: Zeittafeln, Stammbäume, Sagenbücher, Chroniken, Zeitungsartikel. Ich tauchte tief in die Welt von Krabat ein. Damals erkannte ich, welch wertvolle Schätze diese Sage und die Figur für uns alle bereithalten. Ich spürte, dass Krabat eine verbindende Figur ist. Er gehört allen Menschen. Er gehört nach Schwarzkollm, Wittichenau und natürlich auch nach Groß Särchen sowie in viele weitere Orte der Lausitz gleichermaßen. Krabat ist der größte gemeinsame Nenner für uns in der gesamten Lausitz.

 

Es folgten weitere Auftritte – auch außerhalb von Groß Särchen…

2001 fand das erste Krabat-Fest in Nebelschütz statt. Dort lernte ich Dieter Klimek aus Schwarzkollm kennen. Wir beschlossen, gemeinsam aufzutreten. Er als Schwarzer Müller und ich als Krabat. Bald folgten viele gemeinsame Auftritte bei Krabat-Festen, Touristik-Messen und Dorffesten, auch in Zusammenarbeit mit der Marketinggesellschaft Oberlausitz-Niederschlesien (MGO). Mit der MGO reisten wir beispielsweise zur Grünen Woche nach Berlin und zu vielen anderen Veranstaltungen. Am 3. November 2003 wurden wir von der MGO zu Botschaftern der Oberlausitz ernannt.

 

In Groß Särchen wurde Krabat’s Neues Vorwerk errichtet…

Die Einweihung fand 2007 statt. Der Dorfclub und Heimatverein Groß Särchen setzte sich dafür ein, bereits seit 2001. Wir hatten zuvor eine Theatergruppe, einen Gemischten Chor, eine Handwerkergruppe und viele weitere Dorfinitiativen ins Leben gerufen. Ich war zumindest an allen als Mitinitiator und Ideengeber beteiligt. Auf dem Neuen Vorwerk und überall in der Oberlausitz, sogar auf meinen eigenen Baustellen, hielt ich Vorträge über Krabat und die wunderbare Sage.

Welchen Schwerpunkt legten Sie dabei?

Ich betonte besonders Krabats Herkunft und Ursprünge sowie seine enge Verbindung zu Groß Särchen und Wittichenau. Ich wies auf Krabats tief verwurzelten Glauben hin und seine ständige Suche nach Gott. Krabat war immer auf der Suche nach Gott. Er lebte stets im Einklang mit der Natur, der Schöpfung und Gott. Mit der Zeit entwickelte ich mich vom reinen Vortragenden zum Geschichtenerzähler. Ein Vortragender hat immer ein Skript. Ein Geschichtenerzähler spricht frei und offen. Ich lernte, auf mein Inneres zu hören und bei meinen Führungen auf Krabat und Gott zu vertrauen.

 

An welche Erlebnisse erinnern Sie sich besonders gerne?

In Weißkollm beispielsweise gab es einmal eine ganze Projektwoche zum Thema Krabat in der ehemaligen Grundschule. Ich ging jeden Morgen dorthin, fuhr mittags zu meiner Baustelle nach Leipzig, die ich damals als Architekt betreute, und kehrte abends wieder zurück. Das Ganze nur, um am nächsten Morgen wieder bei den Schülern zu sein. Sie stellten faszinierende Fragen zu Krabats Herkunft, seinen Zauberkräften und seinen Abenteuern. Ich erklärte viel mit Bildern, wie zum Beispiel seine Reise nach Dresden zum Kurfürsten, bei der er am Kirchturm von Kamenz hängen blieb… Ein anderes Erlebnis hatte ich bei einem Dorffest, bei dem es eine Verlosung gab. Ein Junge gewann ein Rennrad als Preis, obwohl er aus ärmlichen Verhältnissen kam. Aus dem Publikum kam spontan die Reaktion: „Krabat hat gezaubert“. Kurz darauf kam ein kleiner Junge auf die Bühne, öffnete sein Hemd und zeigte eine Narbe. Er erzählte, dass er Krebs hatte, aber dankbar gesund geworden war. „Das hast DU gemacht, Krabat“, sagte er. Das hat mich und alle Anwesenden sehr berührt.

 

Hatten Sie auch mit Ablehnung zu kämpfen, wenn Sie Krabat verkörperten?

Ablehnung wäre zu viel gesagt. Manchmal spürte ich Vorurteile. Einmal sprach mich ein Mann in Sollschwitz an: „Du bist doch gar nicht von hier. Du bist nicht mal Sorbe. Wie kannst du da Krabat spielen?“ Das hat mich getroffen und überrascht. „Die Wege des Herrn sind unergründlich“, antwortete ich spontan. Später unterhielt ich mich lange mit dem Mann. Er konnte nicht glauben, dass jemand mit so viel Hingabe Krabat spielt, ohne dafür bezahlt zu werden. Er konnte nicht glauben, dass die meisten meiner Auftritte ehrenamtlich waren. In Bautzen sprach mich ein anderer Mann an: „Was machen Sie hier? Sie sind doch studiert. Kümmern Sie sich um Ihre Arbeit, da können Sie mehr Geld verdienen.“ Auch hier folgte eine lange, offene und aufklärende Unterhaltung.

 

Welches Fazit ziehen Sie nach 25 Jahren als Krabat-Darsteller?

Ich habe mein Bestes gegeben und bereue nichts. Ich habe viele Herausforderungen gemeistert. Und ich bin oft dem Schwarzen Müller begegnet. Mit aller Kraft möchte ich meine Erkenntnisse aus 25 Jahren als Krabat weitergeben. Das entspricht dem Vermächtnis von Krabat: „Wer auf meinem Vorwerk in meinem Geiste lebt, für den halte ich einen Schatz bereit.“ Und dieser Schatz, den es zu entdecken gilt, besteht nicht aus Geld oder Gold, sondern aus Verständnis, Verantwortung, Liebe und Gemeinschaft. So hat es uns Johann von Schadowitz, aus dem später die Figur des Krabat entstand, vorgelebt. Für die Zukunft ist es entscheidend, dass wir zu einer gemeinsamen Krabat-Region zusammenfinden. Jeder kann dazu beitragen. Jedes Dorf hat seine besonderen Talente. Wir haben heute den Erlebnishof Krabat-Mühle in Schwarzkollm, den Krabat-Radweg Oberlausitz und den Krabat-Spielplatz in Kamenz, sowie Krabat’s Neues Vorwerk in Groß Särchen. Aber all diese Orte müssen besser miteinander vernetzt sein. Groß Särchen kann und muss dabei eine Vorreiterrolle übernehmen – insbesondere mit der 650-Jahr-Feier des Ortes und Jubiläen wie 400 Jahre Johann von Schadowitz, 333 Jahre Krabat in Groß Särchen, 25 Jahre Krabat Dorfclub und Heimatverein und 25 Jahre Wolfgang Kraus als Meister Krabat. Das entspricht ganz dem Geist von Krabat: „Wenn ihr mich nicht vergesst, werde ich mit Gottes Hilfe dafür sorgen, dass ihr ein freies und glückliches Volk seid.“

 

Bei Ihnen zu Hause, auf dem alten Vorwerk, planen Sie eine Rast- und Erlebnisstätte. Was motiviert Sie dazu?

Seit 20 Jahren organisieren wir immer wieder kleinere und größere Veranstaltungen auf unserem Hof. Das war oft mühsam und musste jedes Mal neu arrangiert werden. Die Idee ist, einen „Erlebnis-Rastplatz bei Krabat zu Hause“ zu schaffen. Konkret soll ein Rastplatz für Radwanderer und andere Besucher entstehen.

 

Quelle: SZ Hoyerswerda, 26.01.2024, von Andreas Kirschke

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